Frieden unter den Religionen – eine Utopie?

«Ich glaube an den Frieden, auch wenn es jetzt gerade besonders schwierig ist», sagt der professionelle Friedensstifter Ron Halbright. Er lebt und lehrt die Kunst des Friedensstiftens zwischen den Religionen.

Seit der Eskalation im Nahen Osten sind Themen wie Krieg und Gewalt omnipräsent, mit dem ­Anschlag in Zürich sind sie geografisch sehr nahe gerückt. Dass die schlimmen Geschehnisse umgehend von diversen politischen Lagern für populistische Forderungen in­strumentalisiert werden, verschärft das Elend der Diskursunfähigkeit und vertieft die Gräben noch mehr. Einer, der die Grabenkämpfe hinter sich lässt, ist Ron Halbright. Der Friedensstifter führt in Kirchgemeinden Workshops zu interreligiösen Freundschaften durch. 

Warum engagieren Sie sich als Friedens­stifter?

Ich würde die Frage eigentlich umgekehrt stellen: Warum sollte ich mich nicht für inter­religiöse Freundschaften engagieren? Wir wollen doch nicht in einem Ghetto leben. Ich lebe interkulturell, suche den Austausch, pflege Freundschaften über alle Religionen hinweg.

Die Religionen sind ja zu 90 Prozent miteinander einverstanden, beispielsweise in Bezug auf das Fasten, das sie alle teilen. Auch bei ihren Werten wie Frieden, Solidarität und Nächstenliebe stimmen sie zu 90 Prozent überein. Wenn man diese Gemeinsamkeiten entdeckt, hat man ein Aha-Erlebnis. Leider werden viele Kinder in vielen Ländern zum Denken in Kategorien, in Feinbildern erzo­gen. In meiner Ursprungs­familie hatten wir bei jeder Seder-Feier aus Überzeugung nicht-jüdische Gäste, die wir in unsere Gemeinschaft integrierten. Schon da wurde mir klar, dass wir mit fremden Menschen so umgehen sollten wie mit den eige­nen Leuten.

Was hat Ihre eigene Lebensgeschichte mit dieser Haltung zu tun?

Ich bin mit Fluchtgeschichten aufgewachsen, denn meine Eltern waren in jungen Jahren ­aus Berlin beziehungsweise Wien geflüchtet. Mein Vater hatte seine Eltern früh verloren und kam als Minderjähriger illegal aus Frankreich in die Schweiz. Meine Eltern lernten sich in New York kennen, liessen sich dort nieder und trafen sich regelmässig mit deutschsprachigen jüdischen Eingewanderten. Daher war für mich als jüdisches Kind von Flüchtlingen in der Grossstadt und dort an der Grenze zum afrikanisch-amerikanischen Viertel Harlem die Thematik des Fremdseins stets präsent und entsprechend prägend.

Gab es einen Auslöser für Ihre Hinwendung zur Friedensarbeit?

Ja, den Schlüsselmoment bildete mein Umzug in die Schweiz. Ich kam von New York, wo rund eine Million Juden leben, in die Schweiz mit bloss etwa 18 000 Jüdinnen und Juden. In der Zeit der nachrichtenlosen Vermögen entbrannte in der Schweiz offener Judenhass, einige Jahre später, nach den Terroranschlägen in New York, entstand offene Feindseligkeit gegenüber Muslimen. Da entschied ich mich, aktiv zur interreligiösen Friedensförderung beizutragen. Ich gründete Respect beim Schweizer Ableger von NCBI, wo ich seit 1994 hauptberuflich tätig bin.

Welche Visionen treiben Sie dabei an?

Ich glaube an den Frieden. In manchen Zei­ten ist es schwieriger, daran zu glauben und jetzt ist es gerade besonders schwierig, mit dem eskalierten Nahostkonflikt. Aber umso stärker suche ich eine Vision, wie Frieden entstehen kann. Gerade jetzt werde ich manchmal gefragt, wie man Hoffnung erhalten kann, wo doch Gaza zerstört wird, unzählige Menschen sterben oder verletzt werden und Tausende flüchten. Dann verweise ich auf ­die beiden Nationen Deutschland und Frankreich, die über viele Jahre verfeindet waren und sich später versöhnen konnten. Auch mein Vater, der Deutschland im Jahr 1941 verlassen musste, kehrte 30 Jahre später dorthin zurück. Er sagte, man solle nicht die Kinder und Enkel von Leuten hassen, die Böses getan haben.

Es muss Sie traurig stimmen, dass zu den alten Traumatisierungen nun neue kommen. 

Die Traumatisierung der Menschen in Gaza ist verheerend, und sie haben keine Wahl. Aber die Menschheit hat heute bessere Instrumente, um sich gegen Krieg zu wehren, etwa die Uno. Zudem gibt es weniger Geheimnisse und die Bevölkerung kann schneller Kampagnen gegen Kriegstreibende organisieren. Aber leider ist die Zivilbevölkerung stets die grosse Verliererin. Daher stehen wir ein für die Menschlichkeit aller Menschen. Die Zeiten sind auch für uns schwierig, aber das Interesse an unserer Arbeit ist dadurch gewachsen.

Wie gestalten Sie die Friedensarbeit in Kirchgemeinden? 

Wir wollen die Teilnehmenden befähigen, selbst in der Freundschaftspflege aktiv zu werden, Vorurteile zu hinterfragen, Stolpersteine zu erkennen und interkulturelle Freundschaften als bereichernd zu erleben. Wie beispielsweise in Pfäffikon: Die Präsenz des reformierten Kirchenpflegepräsidenten, des katholischen Gemeindeleiters, des Beauftragten für den Interreligiösen Dialog der Zürcher Landeskirche, eines muslimischen Theologen und Imams und die Fotoausstellung zu interreligiösen Freundschaften zeigten konkret, wie Freundschaft über religiöse Grenzen hinweg aussehen kann. Indem wir an unseren Anlässen als Freundinnen und Freunde auftreten, können wir die Teilnehmenden befähigen, ihre Vorur­teile zu überwinden. Die Gäste merken: hier geschieht etwas Besonderes. Wir sind ein lebendiger Widerspruch zur Abschottung, das berührt die Menschen in ih­ren Herzen.

Interview: Madeleine Stäubli-Roduner
 

Ron Halbright

Als Kind von deutschsprachigen jüdischen Eltern in New York aufgewachsen, war für Ron Halbright die Thematik des Fremdseins stets präsent. Nach seinem Umzug in die Schweiz in den 90er Jahren entschied er sich, aktiv zur Friedensförderung beizutragen. Seither engagiert sich der Friedensstifter im Verein National Coalition Building für Friedensarbeit.