Garten: Wo alles in Ordnung ist

Die Turbenthaler Pfarrerin Isabel Stuhlmann im Gespräch über das Erleben im Gemeinschaftsgarten, die Kraft der biblischen Gärten und den Auftrag zum verantwortlichen Mitgärtnern.

Was ist Ihr persönlicher Bezug zu Garten?
Wir hatten vor Jahren von unseren Eltern einen grossen englischen Garten übernommen, den wir in einen Naturgarten umwandelten. Diesen musste ich loslassen, als ich mich mit 45 Jahren entschied, Pfarrerin zu werden. Dieser Garten war für mich ein zentraler Ort, wo ich meine Gedanken aufräumen konnte. Zwischendurch wuchs mir der Garten auch über den Kopf, aber gerade dann erlebte ich, dass es von selbst weiterging und weiterwuchs, was ich als trostvoll erlebte. Die Erfahrung, dass ich einer Situation nicht mehr gewachsen bin und es trotzdem lebendig bleibt, dass ich nicht für alles verantwortlich bin, war entlastend. 

Mit welcher Bedeutung ist der Garten für Sie als Theologin verbunden?
Beim Gärtnern sehe ich den engen Zusammenhang zwischen dem Tun, das es braucht, damit der Garten nicht zur Wildnis wird, und dem Warten, der Geduld, die zentral ist. Wenn man nach dem Säen ständig nach dem Samen grübelt, wird er nicht kommen. Wir müssen manchmal annehmen, dass wir es nicht selbst machen und schaffen können, sondern war­-
ten sollen, bis etwas einfach geschieht. Das Warten fällt schwer. Wer im Frühling sät, möchte so gern wissen, ob etwas wirklich kommt. Wenn es dann spriesst und gedeiht, ist die Freude gross. Das erleben wir gerade in unserem kirchlichen Gemeinschaftsgarten.

Für diesen Gemeinschaftsgarten sei die Bewahrung der Schöpfung wichtig, heisst es auf der Website. Was heisst das konkret?
Beim Auftakt zum gemeinsamen Gärtnern stellten uns Experten die Permakultur vor und rieten, sanft zu gärtnern, also ohne Herbizide oder Pestizide, um dadurch auch Kleintieren Platz zu geben. Ein Teil des Gartens blieb Wiese, die nicht umgestochen wurde. Vielmehr legten wir Kartoffeln auf den Boden, bedeckten sie mit Stroh und konnten zusehen, wie eine riesige Kartoffelernte zustande kam. Nach der Ernte war der Boden umgegraben – diese sanfte Art des Bebauens ist eindrücklich. 

Inwiefern steht der biblisch vielfach thematisierte Garten gleichnishaft für das Leben?
Ein Aspekt dieser Gleichnishaftigkeit liegt im Gehegt- und Gepflegtwerden durch Gott, in aller Vergänglichkeit. Gott hegt und pflegt als Gärtner den Garten. Zum Garten Eden als Paradies gehört aber auch die Vergänglichkeit: Die Blumen verwelken – und es geht trotzdem weiter. Denn im christlichen Verständnis gibt es ein Werden, Vergehen und Wiederwerden, mit dem Winter hört es nicht auf. Hier gelangt die Metapher vom Leben als Garten an ihre Grenzen, denn das menschliche Leben dauert eben nicht von Frühling bis Winter, es sind stets alle Jahreszeiten möglich. Auch ein Kind kann schon ernten, auch für einen betagten Menschen kann Neues aufbrechen und in jeder Lebensphase kann es Winterbrachen geben. Der Garten zeigt aber, dass genau da wieder neues Leben anfängt. 

Was bedeutet dies für unser inneres Leben?
Der Transfer auf den Seelengarten drückt aus: Ich bin gerufen zum Mitgärtnern, aber auch angewiesen auf das, was von aussen kommt, auf den Segen vom Himmel, der herabträufelt, in der nötigen Wärme und Kühle. Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Sowohl das hebräische «Gan» für Garten wie auch das griechische «Paradeison» meinen die Einzäunung, das heisst, Garten wird vorgestellt als herausgehoben aus der Unordnung, als Ort der Ordnung, wo Gerechtigkeit und Frieden gelten. Im Psalm 104 wird gezeigt, dass in dieser Ordnung auch eine gewisse Unordnung eingebaut ist, die auch ihren Platz hat.

Wo ist in diesem symbolischen Garten der Platz, die Aufgabe des Menschen?
Gott ist der Gärtner und wir sind sein Garten. Gott fordert uns nicht auf, Leistungen zu erbringen, aber er fordert uns auf, Frucht zu tragen. Dies bedingt, dass wir uns bebauen lassen und uns diesem Gärtner überlassen. 
Das Fruchtbringen kann auch zeitlich verzögert erfolgen und kann von uns nicht kontrolliert werden. Aber es ist immer sozial: Eine Pflanze bringt Frucht, ja, vielleicht auch zur Vermehrung, aber sie bringt Frucht für jemanden anderen.

Was wollen uns die Eigenschaften der biblischen Gärten als Orte von Schönheit, Fruchtbarkeit, der innigen Verbundenheit alles Lebendigen sagen? 
Für mich gilt als zentrale Aussage: Es ist im Garten in Ordnung. Diese innige Verbundenheit mit allem Lebendigen sehe ich weniger und halte ich für einen modernen Gedanken. Ich sehe vielmehr die Botschaft der Verbundenheit mit Gott und unter den Menschen als zentral. Auf Basis dieser Verbundenheit werden wir Menschen als Ebenbild von Gott eingesetzt als Mitgärtner, die mitverantwortlich schauen sollen, dass alles in Ordnung ist. Die Menschen sind in Würde ermächtigt, mitzuwirken und mitzugestalten.

Der Garten Eden, wo Gott Adam ruft, das Gelobte Land, wo Gott sein Volk umsorgt und der Garten des himmlischen Jerusalems: Welchen Stellenwert haben diese biblischen Gärten für Menschen damals und heute?
Die Gärten in der Bibel sind nicht Gärten in unserem Sinn. Sie enthalten auch Bäume, Rebberge, Ölgärten und landwirtschaftlich bebaute Böden. Alles, was Menschen ernährt, gehört dazu. Gerade der Weingarten ist ein wichtiges Symbol für Israel, das etwa in Jesaja auftaucht. Jesajas Drohworte, dass der Garten nicht Früchte trägt, nimmt Jesus auf. Auch für ihn sind die Menschen zuerst einmal als Gärtner gescheitert. Doch ist er der Eckstein im Tor einer neuen Umfriedung. Er ermöglicht so ein neues Gartenprojekt. 

Wie ordnen Sie das Geschehen im Garten Eden ein?
Der Garten Eden nimmt auf, dass antike Könige sich Gärten anlegen liessen als Prunkbauten. Sie luden ein zum Flanieren und zum Jagen in den Wäldern; der Garten Gottes übertrifft diese Gärten an Pracht und ist zudem mehr als Vergnügen. Er ernährt Mensch und Tier ohne Anwendung von Gewalt. Allerdings darf von zwei Bäumen nicht gegessen werden. Was dann geschieht, deute ich entwicklungspsychologisch. Der Mensch fällt beim Erwachsenwerden aus seiner selbstverständlichen Verbundenheit mit Gott. Nach seiner Kindheit wird vieles in seinem Leben mühselig, aber Gottes Ruf bleibt in seinem Ohr. Wenn er sich Gott nicht nahe fühlt, befindet er sich in der Wildnis, diese ist eine Art Gegenentwurf zum Paradies. Diese Wildnis, die ungeordnete Natur, ist biblisch gefährlich, macht Angst. In der Bibel gibt es keine romantisierende Sicht auf diese ungezähmte Natur. Wir glauben heute, die Natur beherrschen zu können, dabei müssen wir sie vielleicht neu verstehen lernen.

Was sagt uns der Garten Gethsemane?
Das Besondere am Garten Gethsemane finde ich diese vielen uralten Ölbäume, in denen Jesus laut Evangelist Lukas umhergeht. Dort sucht er jenen Halt, den ihm die schlafenden Jünger nicht geben. Die Ölbäume werden für ihn gleichsam zu knorrigen Wächtergestalten. Diese immergrünen Bäume stehen als Symbol für das Leben, das letztlich unzerstörbar ist. Sie verkörpern auch die Hoffnung, die etwa die Taube in Form eines Ölzweigs zu Noah zurückbringt und ihm dadurch signalisiert, dass die Gefahr vorbei ist. Auch der ringende Jesus erlebt unter den Bäumen des Gartens, dass etwas angelegt ist, das ihn hinübertragen wird. Dieser Aspekt ist für mich das Wichtigste am Garten: er tröstet. 

Dieser Trost zeigt sich auch in der Begegnung von Jesus mit Maria Magdalena.
Ja, dieser Trost wird bei Johannes weitergetragen, indem das Grab im Garten liegt und Maria Magdalena meint, Jesus sei der Gärtner. Allerdings verkennt sie ihn dadurch nicht nur, sondern sie erkennt ihn, denn er IST ja tatsächlich der Gärtner, ein Gärtner auf geistlicher Ebene allerdings, der unseren Seelengarten in Ordnung bringt. Maria verwechselt nur die Ebene, auf der der Gärtner gärtnert. In dieser «Verwechslung» liegt etwas Humor-
volles. 

Und warum werden diese zentralen Erzählungen gerade in Gärten angesiedelt?
Weil der Garten als Bild dafür steht, dass durch die grösste Unordnung hindurch die Ordnung wieder zurückkommt. Darum steht am Schluss der Erzählungen ein neuer Garten, von dem die Offenbarung berichtet. Dort wird Wasser zentral sein, dort stehen Bäume, die jeden Monat Frucht bringen. Dort werden auch Menschen Frucht bringen. Dies ist das in logischer Konsequenz der vorangegangenen Gärten entworfene starke Hoffnungsbild des künftigen Gartens. Er führt zum wunderbaren Paradiesgarten des Anfangs zurück, aber er wird nicht mehr derselbe sein. Er wird neu sein und die Dynamik zwischen dem alten Vergangenen und dem Neuen ist wichtig. Denn «neu» bedeutet nicht, dass das Alte repariert wird, sondern dass etwas Neues entsteht, dessen Gestalt für uns aber offen bleiben wird.

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