Seelsorge im Asylzentrum: «Genau hier muss Kirche sein»

Es ist ein Ort zum Verzweifeln: Jeden Tag treffen Dutzende Geflüchtete aus Kriegs- und Krisengebieten im Bundesasylzentrum in Zürich-West ein. Es sind Menschen mit wenigen Habseligkeiten und schwereren Geschichten im Gepäck. Pfarrer Arnold Steiner ist vor Ort und schenkt ihnen seine Aufmerksamkeit.

Hier im dreistöckigen Elementbau an der Stadtzürcher Pfingstweidstrasse verbringen sie ihre ersten Wochen in der Schweiz. Bald darauf werden sie entweder ausgewiesen oder in die Warteschlaufen eines Asylverfahrens mit ungewissem Ausgang geschickt. An diesem Ort arbeitet Pfarrer Arnold Steiner. Seit zweieinhalb Jahren ist er hier Seelsorger und trotzt der Resignation.

Arnold Steiner sitzt im Begegnungsraum, dem einzigen öffentlich zugänglichen Bereich des Zentrums. Es hat nachmittags einige Stunden geöffnet hat und ist bald gut gefüllt. Bewohnerinnen bereiten in der Kochnische Essen zu, Kinder spielen Ball oder mit Karten, Männer stehen rauchend vor der Tür. Man erkennt den Seelsorger in dieser Menschengruppe am kleinen Kreuzzeichen, das er am Revers seines Jacketts trägt.

Betrieb nach dem Ausnahmezustand

Weil man von Platznot oder von Kontroversen um die Platzierung des Baus im Kreis 5 der Stadt schon viel gelesen hat, fragt man ihn nach der Stimmung im Asylzentrum. Dazu hält er nüchtern fest: «Der Betrieb läuft im Moment geordnet.» Das sei Anfang Jahr noch anders gewesen.

Das Zentrum mit 360 Betten war damals hoffnungslos überbelegt. Alle Aufenthaltsräume, manchmal auch der Raum der Stille, waren mit Matratzen belegt. Das sei zum Glück vorbei. Für Entspannung haben zwei zwei zusätzlich eröffnete Empfangszentren in und um Zürich gesorgt.

Das Zuhören steht im Zentrum

Die mangelnden Rückzugsmöglichkeiten blieben aber für viele ein Problem, sagt Arnold Steiner. Vor allem für jene, die traumatische Erlebnisse in sich tragen, da sei mangelnde Privatsphäre schwer zu ertragen. Von schweren Schicksalen erfährt der 60jährige fast täglich. Flüchtlinge mit besonderer psychischer Belastung werden ihm bisweilen von der medizinischen Abteilung zugewiesen, andere kämen von sich aus auf ihn zu, um ihm ihre Fluchtgeschichte zu erzählen.

Steiners Hauptaufgabe: zuhören. Mehr könne man schlicht nicht tun. Erlebtes Unrecht kann nicht ungeschehen gemacht werden und der rechtliche Rahmen für oder gegen eine Aufnahme ist bereits gesetzt.

Die Zuwendung, das Wahrnehmen des Leids, der Ängste und Hoffnungen der Menschen, sei dennoch wertvoll und werde geschätzt. Diese Aufgabe übernimmt der reformierte Pfarrer im interreligiösen Team mit katholischen und muslimischen Kolleginnen und Kollegen. «Wir hören dir zu, wir reden mit dir, wir beten mit dir» – das ist das Angebot, welches sie im Zentrum publik machen und das viele Geflüchtete in der einen oder andern Form annehmen.

Erste Hilfe für die Seele

Vielleicht ist es so etwas wie Erste Hilfe für die Seele, manchmal auch die Vermittlung zu anderen Hilfsstellen. Vertiefte Begleitungen sind nur in Einzelfällen möglich, weil die Menschen derzeit im Durchschnitt nur elf Tage im Bundesasylzentrum bleiben.

Diese Zeit ist geprägt von der Erschöpfung einer beschwerlichen und oftmals gefährlichen Reise und der Anspannung, wie der Asylentscheid ausfallen wird. Das Seelsorgeteam könne ein wenig davon auffangen, für Entspannung sorgen und so auch gesamthaft für eine Verbesserung der Atmosphäre im engen Zusammenleben sorgen.

Etwas davon ist auch an diesem Nachmittag im Begegnungsraum spürbar: «Hallo Arnold», begrüssen fast alle Eintretenden an diesem Nachmittag den Pfarrer namentlich. Und zwei kleine Buben aus der Türkei weichen während des ganzen Gesprächs kaum von der Seite des Pfarrers. Sie wollen ihn zum Kartenspiel einladen oder fragen ihn, wie das mit dem Rubikwürfel geht. «Das kannst du bestimmt besser als ich», sagt der Theologe lachend.

Gott einen Anfang zutrauen

Es sind solche Gesten, die der Hoffnung und menschlichen Wärme plötzlich Raum geben und auch den Seelsorger stärken. «Ich traue Gott überall einen Neuanfang zu», sagt Arnold Steiner. Die Zusagen der Bibel für leidende Menschen, wie sie in der Bergpredigt formuliert werden, geben ihm Hoffnung und Mut. Und ja, auch er selber brauche Meditation und Gebet, um bei Kräften zu bleiben und diese Aufgabe leisten zu können.

Arnold Steiner ist mit einem Teilzeitpensum Gemeindepfarrer in Wildberg und arbeitet im Bundesasylzentrum mit einem 40-Prozent-Pensum. «Genau hier in diesem Asylzentrum muss die Kirche präsent sein, an diesem Brennpunkt, wo eine der grössten gesellschaftlichen Herausforderungen der Zeit stattfindet.»

Als wichtig erachtet er dabei den interreligiösen Austausch im Seelsorgeteam. Und ja, er möchte gern auch Präsenz zeigen, spürbar machen, was das Christentum ausmacht, wie es unsere Kultur hier bereichert und prägt. Die Möglichkeiten dafür sind beschränkt, und um Missionierung gehe es schon gar nicht. 

Kleine Zeichen sind aber dennoch möglich: das Kreuz am Revers, die Zuwendung zu den Menschen, und letzthin auch eine interreligiöse Adventsfeier, vom Seelsorgeteam gemeinsam gestaltet und mit musikalischer Unterstützung aus der benachbarten Hochschule der Künste durchgeführt.

Es wurden Textstellen aus der Bibel und dem Koran in verschiedenen Sprachen vorgelesen: Sie erzählten von einer Geburt, die vor 2000 Jahren unter sehr prekären Verhältnissen fern der Heimat stattfand, und von Verfolgung und Flucht einer jungen Mutter, eines besorgten Vaters und von der grossen Hoffnung, die mitten in diese düstere Lage hineinleuchtete.
 

Bundesasylzentrum zürich altstetten

500 Menschen kommen jeden Monat im Bundesasylzentrum in Zürich-West an – viele mit leidvollen Erfahrungen.

Kirchliches Engagement im Migrationsbereich

In der Asylseelsorge arbeiten neben Arnold Steiner zwei weitere reformierte Seelsorgende, sie teilen sich 100 Stellenprozente. In vielen Kirchgemeinden betreuen Mitarbeitende der Sozialdiakonie und viele Freiwillige Integrationsprojekte für Geflüchtete. Die Arbeit im Migrationsbereich und für den interreligiösen Dialog unterstützen wir mit weiteren Stellenprozenten für Fachmitarbeitende.