Blog: «Was, wenn ich alles verpasst habe?»

Wie umgehen mit Selbstzweifeln? Unsere Autorin macht Mut und lässt den Zweifel quengeln.

In den letzten Tagen war sie plötzlich wieder da, diese verlockende Geschichte in meinem Kopf von einem «normalen» Leben: Um mich herum wird geheiratet, Kinder kommen zur Welt, Karriereleitern werden erklommen. Und ich sitz hier in meinem Wohnzimmer und blick in die verschneiten, von der Morgensonne beschienenen Hügel des Malcantone; ich folge einem etwas anderen Rhythmus, ­der so deutlich für mich der richtige ist. Dennoch tauchen Zweifel auf: Was, wenn du aufs falsche Pferd setzt? Was, wenn du am Ende alles verpasst hast? Natürlich weiss ich, dass diese Stimmen lügen. Doch dieses Wissen genügt nicht im Umgang mit den Stimmen. Und sie einfach zu ignorieren genauso wenig. Was dann?

Den Mut anerkennen:

Bisher habe ich meinen eigenen Mut wenig bis gar nicht erkannt. Doch es ist hilfreich, anzuerkennen: Jawoll, es ist ein mutiger Schritt, ­eine Anstellung abzulehnen oder an einen ganz anderen Ort zu ziehen.

Den Zweifel willkommen heissen:

Oftmals haben wir klare Präferenzen, wie wir uns fühlen möchten, manchmal sind es sogar ziemlich grosse Erwartungen. Da haben Zweifel oder davon abweichende Empfindungen keinen Platz, meint der Kopf. Das ist Humbug und zum Schei­tern verurteilt: Dinge via Kopf wegzudrücken, funktioniert nie. Es ist befreiender, diese Zweifel zu sehen wie ein zweijähriges Kind, das einen Tobsuchts­anfall hat.

Mitgefühl erlauben:

Die eigenen Schattenseiten und tobsüchtigen Kleinkinder mögen wir meistens nicht auf Anhieb. Sie «stören» und funken in jeden Bereich des Lebens rein. Doch wie wäre es, zur Abwechslung genau jene Facetten, die wir so gar nicht mögen, genauso liebevoll zu sehen wie einen geliebten Menschen? Anstatt sie ständig zu übergehen und ignorieren, sie nicht nur willkommen zu heissen, sondern sogar mit Mitgefühl zu überschütten? Probiere es aus, nur für fünf Minuten und schau mal, wie sich das anfühlt. Auch das ist etwas eine Übungssache, aber sowas von möglich. Für alle. Versprochen.

Sich selber Sorge tragen:

Gerade in jenen Tagen, an denen die Tobsuchtsanfälle nicht aufzuhören scheinen, kann eine solide Praxis der Selbstsorge und Selbstliebe ein erdender Anker sein. Wenn innerlich stürmt und tobt, muss ich mich nicht noch unter Druck setzen mit Terminen und einer dichten «to do»-Liste. Was, wenn ich solche Tage genauso angehe, als hätte ich die Grippe? Vielleicht sogar im Bett bleibe oder sicherlich etwas Zeit in der Badewanne verbringe? Diese Idee von «funktionieren», die macht uns so oder so fertig – an jenen Tagen umso mehr. Stell dir vor, du hast hiermit die Erlaubnis, mit dir selbst so umzugehen, wie du mit deiner besten Freundin umgehst. Manchmal hilft es, wenn uns jemand anders diese Erlaubnis gibt oder uns daran erinnert. Hier ist sie.

Leela Sutter ist überzeugt: Es ist an der Zeit, den Körper wieder in die Kirchen zu bringen. Die Theologin und Yogalehrerin und lädt ein zu Körperübungen und Meditationen in ihrem Podcast Holy Embodied.