Wie soll die Kirche klingen?

Hoch professionell oder Hauptsache von Herzen? Klassik oder Jodel? Kantor Daniel Pérez über Stilfragen, die Kraft der Musik und den klingenden Gemeindeaufbau. 

Die Musik und insbesondere die Chöre haben in der Kirchgemeinde Horgen einen hohen Stellenwert. Inwiefern tragen sie zum kirchlichen Gemeindebau bei? 

Horgen ist eine klingende Gemeinde. Viele Teilnehmende pflegen schon seit Jahrzehn­ten musikalische Engagements und in den Gottesdiensten wird vierstimmig gesungen. Das musikalische Angebot wird geschätzt, Pfarrteam und Kirchenpflege bringen uns viel Unterstützung entgegen. Die Zusammen­arbeit ist ausgezeichnet und das Engagement für hohe Qualität ist spürbar. Der Organist ist erstklassig. Der Mehrwert dieses musi­ka­lischen Schwerpunkts ist offensichtlich, etwa wenn ein Chorkonzert über 600 Teil­-nehmen­-de und Besuchende verzeichnet.

Der Musik diesen hohen Stellenwert einzu­räumen, bereichert die Kirchgemeinde er­heblich – darum braucht es gut ausgebildete Musikerinnen und Musiker. Zur musikalischen Gemeinschaft gehört aber auch das mensch­liche Miteinander; wir haben neben den Chor­proben auch ein Ohr für Anliegen und Nöte der Menschen und fragen, wie es ihnen geht.

Was kann Musik bewirken, menschlich und spirituell?

Musik berührt mannigfaltig, das erlebt man beispielsweise in unserer Abendliturgie «Evensong». Sie beginnt und endet jeweils mit dem «Laudate omnes gentes» und vermag so gestressten Menschen Ruhe, Kraft und neue Energie zu geben. Zudem führt Musik viele Menschen, etwa auch alleinstehende Seniorinnen und Senioren, gemeinschaftlich zusammen und gibt ihnen die Gewissheit, Teil von etwas Grösserem zu sein. Auftritte sind für Mitwirkende bleibende Erfolgserlebnisse.

Welchen Bezug haben Sängerinnen und Sänger zu Kirche, zur Kirchgemeinde?

Viele sind bereits aktive Mitglieder, sie engagieren sich in den Behörden oder als Frei­­willige im Basar oder Besuchsdienst. Den kirchlich eher Distanzierten, die in einen Chor einsteigen, wird das kirchliche Leben durch ihr musikalisches Mitwirken nähergebracht. So finden viele Menschen über die Musik den Weg in unsere Kirchgemeinde.

Wie gehen Sie mit Spannungsfeldern bei unterschiedlichen Musikstilen um?

Wir sind ausgebildet für alle Musikstile, so bin ich etwa auch im Pop zuhause. Auch eine gute Organistin, ein guter Organist sollte Pop spielen können beziehungsweise kann es bereits ausgezeichnet. In Hirzel gibt es einen Jodelclub, den wir auch regelmässig in un­sere Gottesdienste integrieren. Wir wollen nicht über unterschiedliche Musikstile diskutieren, sondern alle Musikstile in die Kirche bringen. Alle Bevölkerungsgruppen sollen angesprochen werden, denn dadurch sind wir relevant. 

Gilt dieser integrative Ansatz auch für die Kooperation von Profis und Laien?

Ja, die Arbeit mit Profis und Laien gehört bei uns zusammen. Zu denken, dass man nur mit Profimusikern Menschen begeistert, ist meines Erachtens falsch. Denn da würde ich als Zuhörer das KKL oder die Tonhalle vor­ziehen. Aber in der kirchgemeindlichen Ar­beit geht es darum, mit Laien zu arbeiten, Dorf­vereine zu integrieren und für alle da zu sein. Ein Beispiel: Wenn ich in einem meiner Profi-Gesangsensembles auftrete, kommen vielleicht 20 Gäste. Wenn unsere Kantorei singt, kommen jedoch 200.

Die Arbeit mit Laien ist zentral. Wenn sie es nicht wäre, würden wir ein reines Unterhaltungsangebot machen. Unsere Angebote müssen von der Basis der Kirchgemeinde selbst aufgebaut und getragen werden. Wenn dann zusätzlich noch Profis dabei sind, kann das die Laien beflügeln und inspirieren. 

Dann sehen Sie auch Innovation und Tradi­tion nicht als Gegensatz?

Innovation und Tradition gehören zusammen. Innovation bedeutet für mich, stets zu hinterfragen, was wir anbieten. Innovation heisst für mich auch Austausch mit und Lernen von vorbildlichen Kolleginnen und Kollegen etwa in Meilen oder Thalwil. Traditionelles Denken stellt sich unweigerlich ein, aber auch tradi­tionelle Angebote können gut funk­tionieren. Unsere Kantorei hat eine lange Tradition und zieht gleichwohl seit langer Zeit viele Interessierte aus der ganzen Region an. 

Wie wurden Sie eigentlich Kirchenmusiker und Kantor in einer Kirche?

Schon während meines Gesangstudiums in Luzern, Zürich und Berlin stand ich mit Chören in Verbindung und nach dem Stu­dium arbeitete ich eine Zeit lang freischaffend mit Chören. Im Jahr 2017 entschied ich mich, Chorleitung zu studieren und entdeckte, dass die Ausbildung zum Kantor führt, zu einem Beruf, dessen Aufgaben mich begeisterten.

Was genau begeistert Sie daran?

Ich arbeite mit Jung und Alt, bewege mich in leichter und schwerer Musik, ich übe am Nachmittag mit den Untikindern, probe am Abend mit dem Weltchor oder mit den Vokalisten und singe am Sonntag die vierstimmigen Lieder aus dem Kirchengesangbuch mit. Diese Abwechslung und Vielfalt schätze ich sehr. Dabei stelle ich fest: Je einfacher die Lieder, umso freudiger singen die Beteiligten mit; bei anspruchsvolleren Liedern bekommt das konzentrierte Üben grösseres Gewicht.

Hier in Horgen singen alle begeistert mit und haben den Plausch, auf hohem oder auf etwas weniger anspruchsvollem Niveau zu singen. Mich hat die Erkenntnis, dass Singen auch Freude macht, in meinem anforderungsreichen Ge­sangsstudium nachhaltig geprägt.

Wo und wie bringen Sie das ein?

Meine Aufgabe ist der «klingende Gemeindeaufbau». Unser Ziel besteht darin, vom Elki-Singen zur Musicalwoche für Untikinder, von der Konfirmationsbegleitung zur Kanto­-
rei und von den Vokalisten bis zum Seniorenchor allen Bevölkerungsgruppen ein passendes Gesangsensemble anzubieten. Wer hier aufwächst und bis ins Alter bleibt, soll stets einen Chor haben, wo er oder sie mitwirken kann. In meinem Bestreben, dieses Ziel zu erreichen, sehe ich die Kirchgemeinde Meilen als Vorbild. Dort ist aus der optimalen Zusammenarbeit von Kirchgemeinde und Musikschule eine Vielfalt an hochkarätigen Vokal­ensembles für Kinder, Junge und Erwachsene entstanden. Zum klingenden Gemeindeaufbau gehört für mich auch die Verkündigung des Evangeliums. Diesen Bezug zu Glauben, zu Kirche pflege ich seit meiner Kindheit in meinem katholischen Elternhaus; im Studium habe ich mich dann vertieft mit Glaubens­fragen auseinandergesetzt. 

Bildete dieser Bezug den Auslöser für Ihr Engagement im kirchlichen Umfeld?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Erstens bedeutet es mir viel, gemeinschaftlich zu musizieren. Zweitens bietet die Institution Kirche enorm viele Auftrittsmöglichkeiten; dies sollte gerade auch für Musikschulen ein Ansporn zur verstärkten Kooperation mit Kirchen sein. Für Kinder ist es eben spannend, nicht nur zweimal pro Jahr an einem Vorspielabend aufzutreten, sondern etwa gemeinsam ein Musical einzustudieren, wie wir es in den Frühlingsferien gemacht haben. Solche Engagements setzen Freiwil­lige voraus und diese wiederum sind im kirchlichen Kontext gegeben. Dies zeigt, wie wichtig es ist, interinstitutionell zu denken. 

Interview: Madeleine Stäubli-Roduner

Daniel Pérez, geboren 1989, studierte Gesang in Luzern, Zürich und Berlin. Seit 2016 leitet er den Weltchor Baden und seit 2020 den Laudate-Chor Zürich. 2021 erlangte er an der ZHdK den Master in Chorleitung und trat danach die Stelle als Kantor in der Kirche Horgen an. Der Bariton tritt solistisch in kirchen­musikalischen Konzerten auf und wohnt in Wettingen.