Treffen mit Nachkommen der verfolgten „Täufer“
Don und Joanne Siegrist-Hess aus Bird-in-Hand, Pennsylvania, sind Nachkommen von Schweizer Familien, die aufgrund ihres Glaubens von Reformierten und Katholiken gleichermassen verfolgt wurden und deshalb vor fast 300 Jahren nach Amerika auswandern mussten. Am 19. Oktober 2015 trafen wir uns in Zürich, zusammen mit Peter und Helen Dettwiler und Martin Breitenfeldt.
Ihre Genealogien haben sie weit zurückverfolgt, die Dörfer und Bauernhöfe aufgesucht, wo die Familien Hess und Siegrist herkamen. Sie haben sogar weit verwandte Cousins gefunden und die Verwandtschaft durch Speichelproben bestätigen lassen.
Warum forschen sie unablässig und kommen immer wieder in die Schweiz, wollte ich wissen. Don Siegrist, ein Arzt, drückte mit der Faust auf die eigene Brust und sagte: „It’s like there’s a hole right here. And when you find out where you’re from, it’s not there anymore.” Es sei eine Frage der Identität. Er sagte, dass viele der 50 000 Mennoniten und Amischen in Lancaster County, Pennsylvania, eine Verfolgungsmentalität gehabt hätten bis zum offiziellen Versöhnungsakt am 26. Juni 2004. Damals entschuldigte sich der Kirchenratspräsident Ruedi Reich im Namen der Reformierten für die Verfolgung der Täufer. Ein Gedenkstein am Ufer der Limmat, wo Felix Manz im Jahr 1527 ertränkt wurde, erinnert seither daran.
Das Ehepaar Siegrist war damals dabei. Vorher hätten sie die Schweiz durch das Fenster eines Gefängnisses gesehen. Auf Pilgerreisen zu den Stätten der Verfolgungen seien ihnen niemals „Offizielle“ der Reformierten Kirchen begegnet. Dann aber nach 400 Jahren sei diese Tür aufgegangen. Mit strahlenden Augen erzählten sie von den vielen gegenseitigen Besuchen, die seither stattgefunden haben.
Am 28. Juni 2011 hielt der Mennonit John Landis Ruth eine rührende Rede vor der reformierten Synode auf Deutsch. Sie zeigt die Tiefe der Gefühle, die in den Bergen und Tälern der Verfolgung aber auch am Gedenkstein der Versöhnung von unzähligen Pilgern empfunden wird.
LINK zur Rede: www.anabaptist.ch
Martin Breitenfeldt, Koordinator „Plattform 500 Jahre Zürcher Reformation“, erzählte beim gemeinsamen Mittagessen, dass ein grosser „Reformations-Truck“ von November 2016 bis Mai 2017 auf einem Stationenweg quer durch Europa unterwegs sein wird. http://www.ref.ch/kirche-kultur/ein-reformations-truck-besucht-67-europaeische-staedte/
Am 6. und 7. Januar 2017 ist er in der grossen Züricher Hauptbahnhofhalle stationiert. Warum zwei ganze Tage in Zürich? Weil ein Tag für die Täufer und ihre Geschichte reserviert ist.
Die aus reformierter Sicht radikal Gläubigen, die aufgrund der Worte Jesu keine Waffen tragen wollten, dem Staat kein Eid schworen und nur Menschen, die ihren Glauben bekennen konnten, tauften, waren ursprünglich Zwinglis Freunde gewesen. Sie waren einfach weiter gegangen als er. Es gehört zu den Schattenseiten der Reformation, dass diese Menschen aufgrund ihres Glaubens und ihrer pazifistischen Haltung verfolgt wurden. Die Würdigung ihrer Geschichte soll weiterhin zur „Versöhnung der Erinnerungen“ beitragen. Unterdessen wohnen heute unter den Migranten im Kanton Zürich viele Christen, die den Täufern näher stehen als den Reformierten. Das Reformationsjubiläum bietet eine Chance, mit Freikirchen und Migrationsgemeinden noch mehr ins Gespräch zu kommen.
Joanne Siegrist schrieb nach ihrer Rückkehr in die USA einen Bericht für die Kirchenzeitung „Mennonite World Review“ über ihre Begegnungen in Zürich und über die Pläne, die hier im Gange sind für das Reformationsjubiläum. Wir hoffen, dass weitere Begegnungen stattfinden werden. Ein Austausch über das Verhältnis von Kirche und Staat, das Leben als Minderheit in einer pluralistischen Gesellschaft, Pazifismus und das Verständnis der Taufe könnte für beide Seiten bereichernd sein.
Catherine McMillan