Der lange Weg zur Gleichberechtigung
Unter dem Titel «Macht Gott einen Unterschied?» diskutierten Vertreterinnen und Vertreter von Kirchen und Religionsgemeinschaften am Samstag, 27. Oktober, in der Kirche St. Peter die Rollen von Frauen und Männern in ihren Institutionen. Den Anlass dazu gab, dass auf den Tag 100 Jahre zuvor am selben Ort die ersten beiden Frauen der Zürcher Volkskirche – Rosa Gutknecht und Elise Pfister – zu Pfarrerinnen ordiniert worden waren.
In ihrem einleitenden Diskussionbeitrag würdigte Regierungsrätin Jacqueline Fehr die fortschrittliche Gesinnung der damaligen reformierten Kirche, die aber nicht mit dem widerständigen Staat gerechnet hatte: Ohne das Frauenstimmrecht, ohne das eine Frau nicht in ein öffentliches Amt gewählt werden konnte, durfte sie auch kein Pfarramt übernehmen. Erst 1963 wurde mit dem neuen Kirchenrecht das volle Pfarramt für die Frau realisiert.
Die Quintessenz daraus für Jacqueline Fehr: «Recht spricht nicht immer Gerechtigkeit. Und Gesetze müssen immer wieder der gesellschaftlichen Realität angepasst werden.» Das führte die Regierungsrätin flugs in die Gegenwart. Die heutige Kantonsverfassung schreibe den öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften die Gleichstellung von Frau und Mann vor. Das betreffe aber eben nur die weltlichen Strukturen: «Im nicht-weltlichen Bereich wirken hingegen immer noch mittelalterliche Verhältnisse.»
Bewusst provokativ forderte Fehr darum, dass die Gesellschaft auch im innerreligiösen Bereich Gleichstellung anstreben sollte: «Wieso ist in den anderen Religionsgemeinschaften auch heute noch nicht möglich, was die reformierte Kirche schon vor 100 Jahren geschafft hat: eine Frau zur kirchlichen Autorität zu machen?»
Wie lang und mühsam allerdings der nachfolgende Weg war, zeigte Angela Berlis, Theologieprofessorin an der Uni Bern, in ihrem anschliessenden Referat zur Geschichte der Frauenordination. Gutknecht und Pfister konnten aufgrund der fehlenden gesetzlichen Grundlage nur als Pfarrhelferinnen arbeiten. Immerhin habe dieses praxisorientierte Wirken den späteren Pfarrerinnen den Weg geebnet.
In der anschliessenden, von SRF-Redaktorin Judith Wipfler moderierten Diskussion wurden verschiedene Aspekte des Geschlechterverhältnisses in Kirchen und Religionen aufgenommen. Tania Oldenhage, reformierte Pfarrerin in der Kirchgemeinde Zürich Fluntern, setzte grundsätzlich an: «Wie lange braucht es, bis sich nicht nur in den Strukturen und Ämtern, sondern auch in der Theologie etwas ändert, z.B. bezüglich der androzentrischen Rede von Gott?» Sie zeigte sich überzeugt, dass die heutige Bibelübersetzung in 100 Jahren in dieser Hinsicht überholt sein wird. Michel Müller, Kirchenratspräsident der reformierten Landeskirche, pflichtete ihr bei und betonte, dass viele Lieder des Kirchengesangbuches kaum mehr zumutbar seien. Neue Denkweisen müssten sich auch in der Sprache niederschlagen.
Gemäss Jasmin El-Sonbati, Vertreterin der Offenen Moschee Schweiz, genügt die Ausrichtung der Musliminnen und Muslime auf die Schweiz noch bei weitem nicht. Die Orientierung am Ursprungsland sei bei vielen muslimischen Migranten noch zu stark. Eine bessere Integration in der Schweiz sei aber nur mit der Gleichstellung der Frauen möglich: «In der Schweiz sind die Frauen gleichberechtigt, in den Moscheen nicht.»
Mahmoud El Guindi, Präsident der Vereinigung der Islamischen Organisation Zürich, bestätigte diese Feststellung. Er wies darauf hin, dass entsprechende Prozesse in Gang seien, die aber durch die schwache innerislamische «Ökumene» erschwert würden. Franziska Driessen, Synodalratspräsidentin der katholischen Kirche, entgegnete darauf, dass Rom auch beständig die Prozesse herausstreiche, ohne dass sich etwas ändere. Auf der anderen Seite müsse man aber auch Verständnis dafür haben, dass sich nicht einfach alles von heute auf morgen auf den Kopf stellen lasse. Dass die Ökumene hier aber unterstützend wirken könnte, meinte auch Michel Müller, beispielsweise indem man sich gegenseitig auch theologisch hinterfrage.
Leonie Braunschweig, ein junges Mitglied der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich ICZ, betonte, dass im Judentum nicht das Gesetz das Problem sei, sondern dessen Auslegung; diese sei weltweit gesehen nach wie vor stark männerdominiert. Immerhin sei die Situation in ihrer Gemeinde hoffnungsvoll. Shella Kertész teilte diese Einschätzung. Als Präsidentin der ICZ wirke sie darauf hin, die Gesetze zu hinterfragen: «Wenn der Wille da ist, gibt es auch einen Weg, die Traditionen zu ändern, beispielsweise bei geschlechtsspezifischen Bestattungsriten.» Wichtig sei, miteinander im Dialog zu sein, um an diesen Themen arbeiten zu können.
Petra Leist erklärte, dass sie als katholische Pfarreibeauftragte wie viele andere seit vielen Jahren weitgehend die gleichen Tätigkeiten ausübe wie ein Priester, dass dies von der Öffentlichkeit aber gar nicht wahrgenommen werde. Anders als vor 100 Jahren gehe es jetzt nicht mehr darum, dass Frauen in von Männern besetzte Funktionen gelangen, sondern dass die Strukturen an sich weiblicher werden müssten. Regierungsrätin Jacqueline Fehr meinte zum Abschluss, dass den Religionsgemeinschaften vor dem Hintergrund der rasanten gesellschaftlichen Entwicklung dafür nicht mehr sehr viel Zeit bleibe.
Weiterführende Links:
- Veranstaltungen und Dokus zum Thema:
www.zhref.ch/frauenordination - Fotoalbum zur Veranstaltung:
www.flickr.com/photos/zhrefch/sets/72157702766530184