Kirche im Gewächshaus
Aus einem verwilderten Pfarrhausareal wird ein Gemeinschaftsgarten für Flüchtlinge, aus einem leerstehenden Bahnhof ein Coworking Space.
Wie die Kirche neue Räume entdeckt und belebt.
Alias war Bauer in Afghanistan. Jetzt gräbt der Vater von zwei Kindern im Pfarrhausgarten in Effretikon den Boden um. Er ist oft hier mit seiner Familie, hackt Unkraut, giesst die Gurken- und Tomatensetzlinge, die im Gewächshaus heranwachsen. «Hier kann ich meine Gedanken loslassen», sagt Alias, und «manchmal fühle ich mich hier wie im eigenen Land».
Noch vor einigen Monaten war der weitläufige Umschwung der ehemaligen Pfarrliegenschaft der Kirchgemeinde Illnau-Effretikon verwildert und verwaist – jetzt spriessen Blumen und allerlei Gemüse in den fein säuberlich gepflegten Beeten.
Während der Saison hantieren hier fast täglich Migranten und Einheimische mit Hacken und Rechen oder halten einen Schwatz beim Gartenhäuschen. «Treffpunkt Garten» heisst das Projekt, das der Sozialdienst der Kirchgemeinde zusammen mit Freiwilligen 2018 ins Leben gerufen und 2019 erstmals zum Blühen gebracht hat. Die Initiative ist Teil eines Entwicklungsprozesses, den die Kirchgemeinde angestossen hat und bei dem sie sich grundsätzlich gefragt hat, welche Schwerpunkte die Kirchgemeinde für ihr Handeln setzen will, was die Menschen vor Ort wirklich brauchen, welche Ressourcen man einsetzen und welche Räume man neu bespielen kann. Dabei stiess man unter anderem auf den brach liegenden Garten, der zu einem Ort werden sollte, wo Menschen anpacken, gestalten und Gemeinschaft erleben können.
Bei gemeinsamen Arbeiten lernt man voneinander, erzählt Daniel Wartenweiler, Sozialdiakon und Verantwortlicher des «Treffpunkts Garten». «Viele Migranten bringen landwirtschaftliches Wissen und handwerkliches Geschick mit.» Dabei wachsen im Gemeinschaftsgarten nicht nur Gemüse und Blumen, sondern auch Freundschaften heran. Der Garten wird zum Ort des Austauschs und oft auch Schauplatz von kleinen Festen, wo man zusammensitzt und geniesst, was man aus der Gartenarbeit gemeinsam gewonnen hat.
Coworking im Bahnhof Eglisau
Auch andere Kirchgemeinden im Kanton Zürich stellen sich Fragen, wo und wie die Kirche vor Ort auftreten und wie sie auf neue Art in Kontakt mit Menschen kommen kann, bei denen die Beziehung zur Kirche nur lose geknüpft ist. In Eglisau haben sich die Mitarbeitenden und Behörden der Kirchgemeinde an einer Retraite dieser Herausforderung gestellt. Einen neuen Blick auf ihre Gemeinde wollten sie werfen und wahrnehmen, wo das Gemeindeleben spielt und wo nicht, erzählt Birgitta Jakob, Präsidentin der Kirchenpflege.
«Wir wollen eine nahbare Kirche sein», sagt Birgitta Jakob. Und da gelte es, nicht nur darauf hinzuarbeiten, dass die Menschen in die Kirche kommen, sondern dass diese zu ihnen gehe. Wie aber neue Anknüpfungspunkte finden? In Eglisau zeichnete sich ein solcher im Bahnhofsquartier ab. Im leerstehenden Bahnhofsgebäude, das längst nicht mehr von den SBB genutzt wird, sollte ein Coworking Space und Quartiertreff entstehen. Für die Eglisauer Kirchenpflege war schnell klar: «Hier wollen wir als Kirche präsent sein.» Zusammen mit lokalen Vereinen, Einzelpersonen aus dem Quartier, Gewerbe und Ortsgemeinde trieb man das Projekt voran. Seit November 2019 ist das Gemeinschaftsbüro unter dem Label «Schalthalle» Tatsache. Einen Arbeitsplatz belegt dort auch die Kirchgemeinde und wird so sicht- und ansprechbar – an einem Ort, wo Pendler, Coworker und Leute aus dem Quartier ein- und ausgehen.